Das Tal der Hässlichen (1984)

Eine Psychographie

Bläschke Verlag ISBN 3-7053-2199-4

Hugo Bonattis „Tal der Hässlichen“ ist eines der merkwürdigsten Bücher, die mir je begegnet sind. Es beschreibt die Reise durch ein Tal, aber es ist kein geographisches Buch. Es ist darin von seltsamen Talbewohnern die Rede, aber es ist kein ethnologisches Buch. Es werden sonderbare Riten und Kulthandlungen beschrieben, aber es ist kein religionswissenschaftliches Buch. Es ist randvoll von seelischen Erfahrungen, aber es ist kein psychologisches Buch. Es ist dies alles ebenso wenig, wie etwa Saint-Exupérys „Stadt in der Wüste“ ein geographisches, ethnologisches, religionsgeschichtliches oder psychologisches Werk ist. Und doch liegt in beiden Werken das Wesentliche all dieser Bereiche eingeschlossen, ist in den vielfältigen Kosmos eingegangen, der sich in ihnen und aus ihnen heraus offenbart.

Bonattis Buch ist das unentwegte Umkreisen einer verlorenen Mitte. Die Unwirklichkeit der Szenerie wird so zum Spiegelbild einer Wirklichkeit, der wir mit allen trügerischen Effekten unseres technischen Fortschritts ausweichen wollen, die Perlenkette der Kapitel zu einem fortschreitenden Psychogramm einer Seele, die ihren Standort wohl kennt, aber nicht mehr dessen Position bestimmen kann für die objektive Festlegung der geforderten Koordinaten – einer Seele, die hofft und zugleich fürchtet, ins eigene Fadenkreuz zu gelangen, im Brennpunkt der Selbsterkenntnis zu zerschmelzen, und diese Suche dennoch auf sich genommen hat in der Hoffnung, dem unbekannten Feuer standhalten zu können. Ein zutiefst metaphysisches Buch also, die literarische Tat eines einsamen Suchers, der zur totalen Kommunikation berufen ist.

Helmut Schinagl (†)